BONSAI ART
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Der Bildband der „Kokufu-ten 2010“ und „Botanik für Künstler“ von Sarah Simblet 

Der jährlich erscheinende Ausstellungsband der Jap. Bonsai-Vereinigung ist in seiner Form unverändert. Sein Inhalt bietet im Einzelnen jedoch wieder viel Interessantes. Ich greife erneut einige besondere Bonsai heraus und versuche, sie in ihrer Bedeutung einzuordnen. Neben diesem Buch habe ich mir noch ein zweites angesehen, um es Ihnen vorzustellen. Es ist eine Art Sehschule für Menschen, die sich mit Pflanzen beschäftigen und die dabei das Wesentliche vom Nebensächlichen unterscheiden lernen wollen.

Kokufu 84 – Ausstellung 2010 Mancher mag sich fragen, was die Nummer dieses Ausstellungsbandes von 2010 eigentlich genau besagt. Gemeint ist das 84. Jahr der Showa-Periode, die 1926 mit der Inthronisation Kaiser Hirohitos begann, die aber eigentlich 1989 mit dessen Tod endete. Akihito ist seither Regent, so dass eine logische Folge wäre, die Kokufu-Bände von da an neu zu nummerieren. Warum man einerseits die Tradition bricht, andererseits aber auch daran festhält, kann man nur spekulieren. Nehmen wir den 84. pragmatisch als weiteren Band dieser hervorragenden Dokumentation des Bonsai in Japan.
Welche Bonsai fallen unter den ausgestellten besonders auf? Von den als „Important Bonsai Masterpiece“ hervorgehobenen sprang mir ein Chin. Wacholder (S.47) sofort ins Auge. Es ist ein Baum, der 1988 von Masahiko Kimura gestaltet wurde und dessen spektakuläre Veränderung wir in BONSAI ART 39, S. 37, veröffentlichen konnten. In den zweiundzwanzig Jahren hat der Baum zwar seine Vorderseite und den Neigungswinkel gewechselt, seine Form jedoch ist unverwechselbar. Der Baum, ein Yamadori von 2,15 m Länge, wurde von Kimura in zwei Schritten, mit Hilfe der von ihm entwickelten Technik der abgelösten Saftbahnen, „zusammengefaltet“, seine Höhe so auf 82 cm reduziert. Man kann sich das etwa in der Art vorstellen, wie man eine dreiteilige Fieberglaszeltstange, die durch ein Gummi im Innern zusammengehalten wird, auseinander zieht und die Teile aneinander klappt. Das einem so entstandenen Bonsai eine solche Ehrung zuteil wird, spricht für eine doch unverkrampfte Haltung gegenüber modernen Techniken, die die Welt im wahrsten Sinne des Wortes auf den Kopf stellen. Wer den Baum kennt, kann ihn nicht ohne Rückgriff auf seine dramatische Entstehung betrachten. Man sieht in ihm sich kreuzende Saftbahnen, von vorn nach hinten quer durch den Baum laufende Stammbereiche, die einander durchdringen – eine Anordnung, die auf natürliche Weise fast unmöglich entstanden sein kann. Der Baum stellt mit dieser „unmöglichen“ Form, trotz seines traditionellen Aufbaus der Krone, einen herausragenden abstrakten Bonsai dar.
Einen weiteren Wacholder-Bonsai dieser Kategorie findet man auf Seite 28, ebenfalls zum „Important Bonsai Masterpiece“ gekürt. Unter einer dichten grünen „Laubmütze“ zeigt sich dieser „Baum“ überaus exzentrisch. Dessen Schwerpunkt liegt neben der Schale, es ist jedoch keine Kaskade. Die Wurzeln und die dünne Stammbasis verankern den Baum nur unter extremer Spannung in der Erde. Dann bäumt sich eine gewaltige gebogene Totholzwelle auf und stürzt über den Schalenrand. Die Bewegung scheint erstarrt im Moment, wie eine gefrorene Welle. Das Grün hat trotz seiner Masse Probleme, die unbändige Dynamik einzufangen und zu rahmen. Bei diesem Bonsai von 7 cm Höhe schaut man auf eine über 5 cm hohe gebogene Holzstruktur, die  durchschnitten wird von einer diagonal verlaufenden Saftbahn. Vielleicht hätte man vor einigen Jahren noch eine eineinhalb mal so lange Schale gewählt, in die diese Welle sich ergossen hätte. Eine mutige Interpretation eines im Bonsai und der Kunst bekannten Themas.
Dynamische Bonsai scheinen mir in diesem Jahr besonders beachtet worden zu sein. Unter den prämierten Bäumen gibt es viele Beispiele für diese These.
    
simblet_botanik_fuer_kuenst.jpg Das Buch von  Sarah Simblet hat mich vom ersten Moment an fasziniert. Es ist eine Schule des Zeichnens und des Sehens. Von ihr lernt man Botanik und Ästhetik und man blättert in einem 256-seitigen Bildband, der mit über 100 hervorragenden Fotografien und über 350 Zeichnungen dieses Lernen zu einer Augenlust macht. Selbst wer nicht zeichnen will, kann von dem Blick der Zeichnerin profitieren, denn er legt die Details frei, differenziert sie von den Hauptlinien. Viele Begriffe aus der Theorie der Bonsaigestaltung (Negativräume, Struktur, Rhythmus und Fokus usw.) werden hier anschaulich und ihre Bedeutung für das Ganze sinnfällig. Bäume sind jedoch nur ein kleiner Teil der behandelten Pflanzen. Man findet sowohl Bilder vom Rotkohl wie vom Lotos. Der Bildband ist etwas breiter als DIN A4, hat aber dessen Höhe. Die gewohnt hohe Qualität eines Buches von Dorling Kindersley macht es zu einem typisch anglo-amerikanischen „Bilderbuch“ der Extraklasse.

{ln:Kokufu 84 (Japan-Import) '„Kokufu-Bildband 84“.} Ausstellung 2010. 288 Seiten, 26 cm x 25 cm, durchweg farbig, Hardcover,  Schuber, 99,00 Euro

{ln:Botanik für Künstler '„Botanik für Künstler“}. Simblet, Sarah. 256 Seiten, 29 cm x 25 cm, viele Farb- und s/w-Zeichn., Hardcover, 34,95 Euro

Erschienen in {ln:BONSAI ART 104 'BONSAI ART 104}