Kolumne von Christian Przybylski aus BONSAI ART 149

Christian Przybylski

Seit Jahrzehnten gehört sie nun zur Stammausstattung für fast jeden Bonsai-Begeisterten in Europa.

Für mich persönlich gar nicht mehr wegzudenken. Die „kleine Masakuni-Schere“ oder wie die offizielle Katalogseite sie nennt den „Wire Cutter“. Unverwüstlich, nahezu unbezahlbar, unnachahmbar …

Halt! Wirklich? 

Da gibt es doch jetzt die „kleine Ryuga-Schere“, im Katalog als „Heavy Duty Wire Cutter“ vorgestellt. Gleich sehen sie ja aus, aber wie hat meine Oma immer schon gesagt „Um billig zu kaufen, haben wir kein Geld“.Was liegt da näher als die beiden Werkzeug-Boliden mal genau zu vergleichen.
 
Bei der Masakuni-Schere hab ich ja schon 20-jährige Erfahrung (kaum zu glauben, aber so lange hab ich meine „Erste“ schon) und so manchen harten Einsatz hat diese mit mir hinter sich.
Die Ryuga habe ich eine lange Saison im Probeeinsatz gehabt. Was heißt das, wenn ein Semiprofi so ein Werkzeug im Einsatz hat? Tja, da wird alles geschnitten was nicht niet- und nagelfest ist. Draht, Äste, Tüten, etc. und das so ziemlich ohne Rücksicht auf Verluste.
 
Jetzt mal zu den Fakten: die Masakuni-Schere aus Japan ist um ein Vielfaches teurer als das Vergleichsprodukt aus China. Ob sie um ein Vielfaches besser ist, wollte ich herausfinden? 
 
Beginnen wir mal am Anfang. Die Masakuni wird in der nicht rostenden Edelstahlvariante und aus rostendem Kohlenstoffstahl angeboten. Die Materialkundler unter Ihnen möchten mir bitte meine stümperhafte Beurteilung der verwendeten Werkstoffe verzeihen aber für diesen Testbericht erscheint mir das ausreichend. Der Kostenunterschied ist mit ca. 10 EUR unerheblich da er nur einen Bruchteil des Gesamtpreises ausmacht. Ich entschied mich damals für die günstigere Schwarzstahlausführung (vermutlich, weil ich auch diese selbst schärfen wollte, welches ja mit Kohlenstoffstahl besser geht als mit hochlegiertem Edelstahl).
 
Das Konkurrenzprodukt aus China hingegen setzt von vorneherein ausschließlich auf rostfreie Edelstahloptik. Laut Katalog ein Werkzeug aus Chrommolybdänstahl mit gehärteter Schneide.
 
BONSAI ART Kolumne: Schere oder was?
 
Beide Scheren sind mit 110 mm und 115 mm etwa gleich lang und um die 60 g schwer. Während, wie in Japan üblich, die Masakuni-Schere in einem optisch sehr ansprechendem, verziertem Karton geliefert wird, liefert Ryuga in einer etwas lieblos schnöden Plastikverpackung. Beide Scheren sehen fast gleich aus und sind konstruktionell identisch, indem ein stabiler Scherengriff in einer sehr kurzen stabilen Schere endet. Sowohl Masakuni als auch Ryuga haben an eine praktische Nachstellschraube, die beide Scherenteile miteinander verbindet, gedacht. Das lästige Nachschlagen einer Verbindungsniete entfällt somit.
Insgesamt schmeichelt die Masakuni der Hand mehr, ein Umstand, der aber durchaus von der Nutzungspatina meines Uraltmodells kommen kann. Keinesfalls aber fühlt sich die Nutzung der Ryuga deshalb schlecht an.
 
Hauptaufgabe beider Werkzeuge ist offensichtlich das Schneiden von Draht. Diese Aufgabe wird tadellos erledigt. Während bei Masakuni das Understatement überwiegt und man als maximal schneidbaren Durchmesser 1,6 mm bei Kupferdraht und 2,0 mm bei Aluminium angibt, die aber bequem übertroffen werden (ich schneide ohne Probleme 3 mm Aluminium- und 2,5 mm Kupferdraht, und das seit Jahren) hüllt man sich auf der anderen Seite des chinesischen Meeres in Schweigen.
Ausprobieren heißt hier die Devise! Keine Sorge, sie werden nicht enttäuscht. Schnitte von 2 mm Kupferdraht und auch 2,5 mm Aluminiumdraht sind ohne Fehl und Tadel möglich. Allerdings versagt die Schere aus China bei stärkeren Durchmessern.
 
Das ich meine alte „Japanerin“ nun schon 20 Jahre im härtesten Einsatz habe und nur Alterspatina die einzigen Anzeichen der Nutzung sind, hatte ich ja schon erwähnt. Wie die „Chinesin“ nach solch einer Nutzungsdauer noch aussieht, werde ich wohl nie erfahren. Da meine Masakuni ja noch lebt, gibt es jedenfalls keinen Grund, Ersatz anzuschaffen.
 
Es besteht durchaus die Möglichkeit dass das Low-Budget-Produkt aus Fernost ebenfalls eine so lange Einsatzzeit durchhält. Den einjährigen Härtetest in meinem Bonsai-Leben überlebte sie tadellos.
 
Fazit: Wer verlässliche Qualität auf höchstem Niveau ohne Überraschungen und Kompromisse will, ohne auf jede Mark (oh entschuldigen Sie, ich bezahlte meine alte Japanerin noch in D-Mark) bzw. in Euro schauen zu müssen, sollte sich auch weiterhin für Masakuni entscheiden. Sie ist definitiv für den harten Profieinsatz gebaut. 
 
Sollten sie jedoch lieber einmal 75 % der zu erwartenden Kosten sparen wollen und benutzen ihre Drahtschere doch nicht so oft, könnte ihnen auch die „kleine Chinesin“ lange Freude machen. Gesicherte Erkenntnisse über einen jahrzehntelangen Dauereinsatz liegen jedoch aus nachzuvollziehenden Gründen (die Schere ist erst wenige Jahre auf dem Markt) nicht vor.
 
So jetzt entscheiden Sie! Eines jedenfalls nimmt ihnen jedoch ihre neue Schere auf keinen Fall ab: Das Drahten selbst. 
 
Die Schere kann es Ihnen nur erleichtern und für manche wird dieser Satz wie purer Sarkasmus klingen - und die „Freude am Drahten erhöhen“.
 
Ihr Christian Przybylski