BONSAI ART
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Der letzte Lehrling und das Vermächtnis seines Meisters | von Heike van Gunst

 
Shinji Suzuki aus Obuse in der Präfektur Nagano, geboren 1962, ist heute einer der berühmtesten japanischen Bonsai-Meister. Er besitzt einen wundervollen Bonsai-Garten, der Enthusiasten aus aller Welt anzieht.
 

Interview Susuki 01 web

Du wurdest nicht in einen Bonsai-Familienbetrieb hineingeboren, aber Deine Mutter führte einen Blumenladen. Hat sie Dich an Bonsai herangeführt?

Meine Eltern hatten eine Pension in Saku City in der Präfektur Nagano. Als mein Vater starb, konnte meine  Mutter sie alleine nicht weiter betreiben. Sie verkaufte die Pension und ging mit meiner Schwester und mir zurück nach Nagano City, wo sie ein winziges Blumengeschäft eröffnete. Ich musste ihr im Laden helfen, wo sie auch ein paar Bonsai hatte, die mein Interesse weckten.

Interview Shinji Suzuki BONSAI ART web

Wie bist Du zu Lehrmeister Motosuke Hamano gekommen?

Meine Mutter kannte einen Bonsai-Schalentöpfer, der uns dem berühmten Bonsai-Meister Motosuke Hamano vorstellte. Wir gingen zu einem Vorstellungsgespräch in dessen Bonsai-Gärtnerei Toju-en und baten ihn, mich als Lehrling anzunehmen. Er sagte jedoch, dass es schon zu spät wäre, da er bereits 72 Jahre alt sei und eine Lehre in Japan sechs Jahre dauert – fünf Jahre, bis man sein Zertifikat bekommt und dann wird erwartet, dass man ein weiteres Jahr bleibt und für seinen Meister arbeitet.

Beim ersten Versuch lehnte er mich also ab. Als er aber erfuhr, dass ich meinen Vater früh verloren hatte, wurde ihm bewusst, dass wir etwas gemeinsam hatten, denn auch sein Vater war bereits gestorben, als er noch ein Junge war.
So nahm er mich schließlich als seinen letzten Lehrling an. Masahiko Kimura war Meister Hamanos erster Lehrling im Jahr 1980 und ich war der letzte, der hundertachte. Von diesen 108 Lehrlingen haben zwischen 80 und 90 aufgegeben bevor ihre sechs Jahre um waren, was daran liegt, dass die Lehrzeit so lang ist und sehr harte Arbeit bedeutet.

 

Was waren die eindrucksvollsten Erlebnisse, die Du mit Deinem Meister hattest?

Da ich der letzte Lehrling war, war ich immer der Jüngste und musste deswegen alles für Meister Hamanos Familie und die höherrangigen älteren Lehrlinge tun: putzen und kochen, Toiletten schrubben, Wäsche waschen und dergleichen. Ich musste jeden Morgen um halb fünf aufstehen und bis 19 Uhr arbeiten. Abends und nachts war die einzige Zeit, in der ich etwas über Bonsai lernen konnte.

Am Anfang hatte man mir gesagt, dass ich vielleicht zwei freie Tage im Monat haben würde, aber nach einem Jahr hatte ich keinen einzigen freien Tag gehabt, nur ein paar freie Stunden am Abend. Das waren harte Zeiten, aber ich habe nicht aufgegeben, weil Meister Hamano ein so guter Mann war, dem wirklich daran gelegen war, dass ich alles lernte, um am Ende für meinen Beruf gut gerüstet zu sein und damit meinen Lebensunterhalt verdienen zu können.

Während der ersten drei Jahre lernte ich alle grundlegenden Dinge über Bonsai und die entsprechenden Techniken. Ich war damals schon ziemlich versiert, so dass sich einige Meister bereits wünschten, dass ich ihre Bäume bearbeiteten solle, wodurch ich sehr selbstbewusst wurde. Doch erst nach den vollen sechs Jahren meiner Lehrzeit wusste ich, dass es die richtige Entscheidung war, die Lehre abzuschließen, denn ich lernte noch so viel mehr.

Ein Chinesischer Wacholder von Shinji Suzuki
Ein Chinesischer Wacholder von Shinji Suzuki

Nach Deiner Lehre hast Du noch viel Energie und Zeit investiert, um von anderen Bonsai-Profis mehr über bestimmte Spezialgebiete zu lernen. War das üblich und hast Du das genossen?

Das war tatsächlich unüblich. Als Lehrling hat man nur einen Meister und bleibt exklusiv bei ihm. Aber danach, wenn man seine Lehrzeit absolviert und sein Zertifikat bekommen hat, ist man frei.

In Japan gibt es diverse Bonsai-Schulen und ich war eifrig und neugierig mehr zu lernen. Bonsai-Meister sind nicht immer darauf erpicht Schüler zu unterrichten, die bei anderen Meistern gelernt haben, aber die Meister nahmen mich an, weil sie meine Leidenschaft, mehr zu lernen, erkannten. Trotzdem musste ich für meine Lehrstunden bezahlen und habe eine Menge Geld für meine Zusatzausbildung ausgegeben.

Shinji Suzuki: Igel-Wacholder "Taikan"Eine der bekanntesten Gestaltungen Suzukis ist wohl dieser Igel-Wacholder, der den Namen Taikan trägt, was so viel wie „Großartige Aussicht“ oder „Großartiger Anblick“ bedeutet. Mit diesem Baum konnte Shinji Suzuki erstmals den Preis des Premierministers auf der Sakufu-ten gewinnen

Ich bat z. B. Meister Susumu Sudo, mich in seiner Bonsai-Gärtnerei Chikufu-en in der Kunst des Keido zu unterrichten, der formellen Bonsai-Präsentation. Seiji Morimae, der drei Jahre älter ist als ich, war damals der Manager von Chikufu-en und ist heute ein berühmter Fachmann für Tokonoma-Präsentation. Als ich mehr über Tosho, den Japanischen Igel-Wacholder lernen wollte, ging ich zur Bonsai-Gärtnerei Daiju-en von Meister Toshinori Suzuki in Okazaki City in der Präfektur Aichi. Er war ein Experte für Igel-Wacholder. Die Lehrstunden bei ihm zahlten sich aus, denn am Ende gewann ich mit einem Igel-Wacholder auf der Profi-Ausstellung „Sakufu-ten“ meinen ersten Preis. Mit damals 31 Jahren bin ich bis heute der jüngste Bonsai-Künstler, der den „Preis des Premierministers“ gewonnen hat.
 

Ist es wahr, dass Du Dein Geschäft zuerst aus einem Lieferwagen betrieben hast? Wie hat das funktioniert?

Etwa zu der Zeit, als ich meine Bonsai-Lehre abgeschlossen hatte, ging der Blumenladen meiner Mutter Pleite und meiner Mutter blieb nichts außer Schulden.
Deswegen ging ich zurück nach Nagano, um sie zu unterstützen. Ich hatte zwar sehr gute Fähigkeiten aber anfangs noch keine Kunden. Mein Meister hatte mir Werkzeug und Draht mitgegeben, und ich kaufte mir nun einen Lieferwagen. Dann bat ich etablierte Bonsai-Profis mir Arbeit zu geben, und das taten sie. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend arbeitete ich vor meinem Van, so lange genug Tageslicht vorhanden war, und abends nahm ich Bäume mit in mein Apartment und arbeitete unter elektrischem Licht weiter.

In diesen Jahren war ich sehr beschäftigt und hatte nicht genug Zeit, häufig bei meinem Meister zu Hause vorbeizuschauen. Als ich zwischen 24 und 27 Jahre alt war, verdiente ich eine ziemliche Menge Geld aus meinem Van heraus. Meine Arbeit wurde wertgeschätzt und ich war sehr darauf fokussiert, Geld  zu verdienen, was nicht sehr bonsaigemäß ist, aber in meinem Fall notwendig war, um die Schulden meiner Mutter abzubezahlen und meine Familie zu unterstützen.

Mit 27 Jahren heiratete ich, und bald danach wurde mein erster Sohn Hiroaki geboren. Eines Tages stürzte mein betagter Meister Motosuke Hamano und lag dann im Sterben. Ich erhielt einen Telefonanruf und erfuhr, dass er mich sehen wollte. Als ich ankam, war ich in den letzten Momenten seines Lebens bei ihm. Er sagte mir: „Bilde gute Lehrlinge aus und mache gute Bonsai!“ Das waren seine letzten Worte, bevor er vor meinen Augen starb. Dieses Vermächtnis brachte mich zum Nachdenken und ich beschloss, dass ich von nun an mehr Künstler sein und den Fokus weniger auf das Geldverdienen legen wollte.

Als ich meinen Sohn Hiroaki als Baby in den Armen hielt, fühlte ich außerdem den Wunsch, ein guter Vater zu sein. Deswegen änderte ich in der Folge meine Arbeitsweise. 

Mit Ende Zwanzig begann ich, meine Bonsai-Gärtnerei aufzubauen und nahm meinen ersten Lehrling an. Es war Takashi Sakurai, der einen sehr guten Weg gemacht hat und auf der „World Bonsai Convention 2017“ einer der Demonstratoren war.

Blick in den Garten von Shinji Suzuki in der Kleinstadt Obuse in der Präfektur Nagano auf der japanischen Hauptinsel Honshū
Blick in den Garten von Shinji Suzuki in der Kleinstadt Obuse in der Präfektur Nagano auf der japanischen Hauptinsel Honshū

Was waren dann die nächsten Schritte beim Aufbau der Bonsai-Gärtnerei und des Museums?

Als ich 29 war, investierte ein wohlhabender Sponsor einiges Geld, so dass ich das „Taikan Bonsai Museum“ in Obuse, Nagano, einrichten konnte. Nachdem ich mit 31 meinen ersten „Preis des Premierministers“ auf der „Sakufu-ten“ gewonnen hatte, gab es eine Periode von acht Jahren, in der ich keinen ersten Preis mehr erringen konnte, nur dritte Plätze. Das war eine harte Zeit für mich. Ich begab mich dann auf die Insel Yakushima und wanderte in den schönen Wäldern, während ich über die Gründe nachdachte. Vielleicht lag es an einem Mangel an Hingabe während schwieriger Zeiten. Nach den
Olympischen Winterspielen in Nagano verlor mein Sponsor während der Wirtschaftskrise eine Menge Geld und das Taikan Museum musste geschlossen werden, was für mich ein sehr trauriger Einschnitt war.
Aber ich habe nicht aufgegeben und nach den acht Jahren kam der Erfolg zurück. Ich konnte vier weitere Male  den Preis des Premierministers gewinnen, also fünfmal insgesamt, öfter als jeder andere. Dann wurde ich in den Vorstand des Sakufu-ten Organisationskomitees geholt und seither konnte ich natürlich nicht mehr selbst am Wettbewerb um die Preise dieser Ausstellung teilnehmen.

Als ich endlich die finanziellen Mittel hatte, ein Grundstück zu erwerben, baute ich meinen Bonsai-Garten auf meinem eigenen Grund neu auf und vergrößerte ihn in der Folge.

Meine Frau hatte immer mit mir in der Gärtnerei gearbeitet. Als sie plötzlich starb, war es sehr schwer weiterzumachen. Nachdem ich von der Beerdigung zurückkehrte, wurde mir bewusst, dass meine amerikanischen Lehrlinge Matt Reel und Tyler Sherrod in meiner Abwesenheit für die Bonsai und alles andere gesorgt hatten. Das machte mir deutlich, dass das Leben weiterging.

Die Bäume gaben mir Trost und neue Energie. Ich war zu dem Zeitpunkt 50 Jahre alt und hatte das Gefühl, dass ich von nun an nicht nur gute sondern herzerwärmende Bonsai gestalten wollte.

Chin. Wacholder (Juniperus chinensis var. sargentii)
Chin. Wacholder (Juniperus chinensis var. sargentii). Höhe 102 cm, Alter ca. 350 Jahre. Important Bonsai Masterpiece und Kokufu Preisträger auf der 93. Kofufu-ten

Du warst einer der ersten japanischen Bonsai-Meister, die einen westlichen Lehrling angenommen haben (Michael Hagedorn). Was hat Dich damals dazu bewogen, es mit ihm zu probieren?

Der Erste war ich tatsächlich nicht. Meister Kyuzo Murata, der erste Eigentümer von Kyuka-en, hat bereits in den 1960er Jahren eine Amerikanerin angenommen. 

Auch Masahiko Kimura hatte mit Marco Invernizzi aus Italien 1997 schon einen westlichen Lehrling. Kein Bonsai-Meister nimmt jemals eine ganz unbekannte Person als Lehrling an. Wenn man Lehrling werden
will, muss man immer wieder Briefe auf Japanisch schicken und um Aufnahme bitten, um zu beweisen, dass es einem ernst ist. Außerdem braucht man die Empfehlung einer Persönlichkeit mit
einem gewissen Einfluss. Einer meiner gegenwärtigen Lehrlinge ist zum Beispiel der Sohn eines berühmten koreanischen Bonsai-Meisters. Generell hängt es aber vom Meister ab. Die Motivation ist entscheidend wenn jemand Lehrling werden will, nicht die Nationalität.

Wenn jemand seine Lehre beginnt, merkt man normalerweise schon in der ersten Woche, ob er sie durchstehen oder aufgeben wird.

Deine beiden Söhne sind Dir ins Bonsai-Metier gefolgt. Was wünschst Du Dir für ihre Zukunft?

Mein älterer Sohn Hiroaki, war im Gymnasium ein erfolgreicher Baseballspieler, aber schließlich wollte er doch Bonsai-Profi werden. Also bat ich Masahiko Kimura, den ersten Lehrling meines Meisters Motosuke Hamano, Hiroaki anzunehmen. Natürlich war mir bewusst, dass eine Lehre bei Kimura sehr hart ist, und ich bat ihn, streng zu sein und meinen Sohn gut zu unterrichten.

Als Hiroaki 23 war, starb seine Mutter und ich befürchtete, dass wegen dieses Schicksalsschlags, der unsere Familie traf, Hiroaki seine Lehre abbrechen würde, aber glücklicherweise hielt er durch. Ich wünsche mir, dass meine beiden Söhne Bonsai-Meister werden, die Frieden und Warmherzigkeit durch Bonsai ihrerseits an die nächste Generation weitergeben werden.

Entdecken derzeit die jungen Leute in Japan Bonsai neu? Sind moderne Interpretationen hilfreich für das neue Image von Bonsai?

Ja, in der Tat! Die neue Art von Felsenpflanzungen, die wir letztes Jahr auf der Taikan-ten präsentiert haben, war dazu gedacht, jüngere Leute anzuziehen und es scheint zu klappen. Ein Problem ist noch, dass viele nicht wissen, wann und wo die Bonsai-Ausstellungen stattfinden, weil kaum Werbung über die neuen Medien gemacht wird. Ich hoffe, das ändert sich mit der Zeit.

 

Shinji Suzuki bei einer Demo auf dem Crespi Cup
Shinji Suzuki bei einer Demo auf dem diesjährigen Crespi Cup. Zusammen mit seinem ältesten Sohn Hiroaki arbeitete er an einem großen Wacholder. Die offene Ausstrahlung der beiden Suzukis und nicht zuletzt ihre große Kompetenz kamen beim Publikum in Mailand sehr gut an

Du hast die Organisation der Taikan-ten in Kyoto seit 2017 übernommen. Was war Deine Motivation dafür, was ist Dein Hauptziel und Konzept für dieses Event?

Tatsächlich wurde ich von der Nippon Bonsai Growers Association gebeten, den Vorsitz des Taikan-ten-Organisationskomitees zu übernehmen. Aber ich hatte auch Lust, diese Veranstaltung zu beeinflussen und zu verändern, ihr ein neues und einzigartiges Gesicht zu geben. Auf der Taikan-ten kann jedermann Bonsai ausstellen, nicht nur die Profis, aber trotzdem ist die Qualit ätder Exponate extrem hoch.

Wir haben die Bäume zum Beispiel mit modernen Hintergründen betont und mit purpurnen Stoffbahnen, die über ihnen drapiert waren. Purpur ist in Japan eine wichtige Farbe, die für höchste Qualität steht.
Im November 2019 wird die erste Taikan-ten der neuen Reiwa-Ära, der Regentschaft von Kaiser Naruhito, stattfinden und wir wollen sie zu etwas ganz Besonderem machen.

Bonsai ist eine alte japanische Kunst, Kultur und Tradition. Was empfindest Du, wenn Bonsai-Enthusiasten in anderen Ländern versuchen, den japanischen Bonsai-Stil zu kopieren? Oder aber mit Einflüssen aus ihrem Kulturkreis, mit heimischen Baumarten und regionalen Landschaften ihren eigen Bonsai-Stil entwickeln?

Das ist ein wichtiges Thema. Bonsai ist in der Tat tief in der japanischen Kultur und Geschichte verwurzelt und in Japan entstanden. Deswegen denke ich, dass jeder, der sich ernsthaft damit beschäftigen möchte, zuerst die grundlegenden japanischen Hintergründe, ästhetischen Prinzipien und Techniken erlernen muss. Nur wenn man all dies verstanden und gemeistert hat, kann man eigene kulturelle Einflüsse einbringen und dies zum Erfolg führen. Sonst wird nichts Gutes dabei herauskommen.

Interview mit Shinji SuzukiWährend des Interviews in Mailand beim Crespi Cup schaut Suzuki interessiert in die aktuelle BONSAI ART (Foto: Heike Vomstein)

Du hast bereits so viel erreicht. Hast Du immer noch Ziele und Träume, die Du in Deinem Leben und Deiner Karriere wahr werden sehen möchtest?

Mein Traum ist es, ein Bonsai-Kunstmuseum in Kyoto zu errichten und ich arbeite bereits an den Plänen, um dieses Projekt zu realisieren. Außerdem möchte ich noch viele weitere junge Lehrlinge ausbilden und ihnen mein Wissen vermitteln, um die Liebe zu Bonsai an die nächste Generation weiterzugeben.

Übersetzung: Makiko Kobayashi
Fotos: Manuel Turpin, Heike van Gunst, Heike Vomstein