„Classic Bonsai of Japan“

der Nippon Bonsai Association

Die erste Auflage dieses Bildbandes aus dem Jahr 1989 war ein Meilenstein der Bonsaigeschichte im Westen. Das damals großformatige und sehr teure Luxuswerk, übersetzt vom amerikanischen Japankenner John Bester, fasste große Meisterwerke und Kommentare dazu mit einem geschichtlichen Abriss des Bonsai zusammen. Anders als die Kokufu-Bände, die den aktuellen Stand dieser Kunstform dokumentieren, versuchte „Classic Bonsai of Japan“ eine Monografie des Bonsai zu sein, die das Wesen dieser Kunstrichtung erfasst.

classic01.jpg Seit 2003 liegt nun die zweite Auflage vor. Weniger aufwändig und kleiner im Format (etwas größer als DIN A4) ist sie inhaltlich identisch mit der ersten. Welche Inhalte enthält nun dieses hochwertige Buch? Wesentlich sind einerseits die Bilder. Manchen mag die scheinbare Unfertigkeit mancher in diesen Katalog aufgenommener Bonsai irritieren, heute ist man mehr Akkuratesse gewöhnt. Manche der 155 ganzseitig gezeigten Meisterwerke zwischen 20 und 140cm wirken etwas struppig (108 in Farbe, aber leider etwas dunkel, ergänzt durch 24 ebenfalls farbige Shohin-Arrangements). Darunter sind auch einige Stücke aus der kaiserlichen Sammlung, die Jahrhunderte als Bonsai kultiviert wurden. Auch sehr bekannte Bonsai, viele bereits in BONSAI ART veröffentlicht, sind unter den für dieses Buch ausgewählten Werken zu finden.
Was hat es mit der etwas „ungepflegten Erscheinung“ mancher Bäume auf sich? Um etwas zu dieser Frage zu sagen, komme ich zu dem meiner Meinung nach wichtigeren Teil des Buches, dem Text. Er ist leider in englischer Sprache, und dazu noch nicht einmal mit normalen Schulenglischkenntnissen zu entschlüsseln. Bei der Lektüre der 50 schwarzweiß bebilderten Textseiten war mein Dictionary ein vielgenutzter Begleiter. Aber die Mühe lohnt sich! John Bester hat eine wichtige Über-setzung geleistet. Für uns westliche Betrachter ist die Historie des Bonsai bislang weitgehend verschlossen. Mythen umranken die angeblich Jahrhunderte währende Tradition des Bonsai und lassen ohne fundiertes Wissen ein Bild entstehen, dass modernes Bonsai ins japanische Mittelalter zurück „beamt“. Bester weiß es besser: Bonsai war immer in seine jeweilige Zeit eingebunden, und es war schon immer geteilt in eine religiös philosophische Übung der geistig intellektuellen Eliten und in eine Volkskunst. Die einen befassten sich damit auf dem Hintergrund einer Naturmystik und verachteten Techniken zur Formung als Verstümmelung, die anderen entwickelten die Formgebung weiter und hatten auch Freude an Skurrilem und Üppigem. Heutiges Bonsai mit seinem Wunsch nach der idealen Form des individuellen Baumes entstammt eher dem bürgerlichem Strang der Entwicklung. Jedoch erstarkt sowohl in Japan als auch bei uns die Idee, dass Bonsai eine Brücke zur Natur schlägt, womit auch die eigene Naturhaftigkeit des Menschen gemeint ist. Die oben erwähnte „Struppigkeit“ mancher Bonsai ist in diesem Buch somit dem „Natürlichen“ geschuldet, die der gemachten Glätte mancher viel zu „frisch“ aussehender Bäume widerborstig entgegensteht.
Besters Übersetzungsleistung beruht darin, dem Leser das kulturgebundene Fremde im Bonsai durch die Beschreibung der Geschichte nahe zu bringen. Auch die Beschreibung der Stilformen, die an sich gut bekannt sind, verweisen auf ein Verständnis, das weniger kategorial als von der Natur der Sache bestimmt ist. Enge Regeln oder gar Gestaltungsvorschriften findet man allenfalls vereinzelt. Gerade und geschwungene Stämme, ihre Anzahl und ihre besondere Anmutung lassen den einzelnen Bonsai mehr oder weniger in eine der Kategorien fallen. Was in keine passt, ist trotzdem Bonsai und heißt dann eben „kreativ“.
Das letzte Kapitel des Buches der klassischen japanischen Bonsai umfasst 23 Seiten mit Anmerkungen. Sie kommentieren die Bilder und machen für westliche Bonsailiebhaber den hohen Wert dieses Buches aus. Jeder einzelne Baum wird aus der Sicht japanischer Meister beschrieben und eingeordnet. Der Leser versteht, warum ein Bonsai in dieses Buch aufgenommen wurde, was ihn von anderen schönen Bonsai abhebt. Beim Lesen dieser Kommentare kann man viel über die Wertvorstellungen japanischer Bonsaienthusiasten lernen. In ihnen verschränken sich Vorstellungen von Religion und Kulturgeschichte Japans mit modernen ästhetischen Sichtweisen. Für uns technikversessene Westler fällt durch diese Anmerkungen ein Schlaglicht auf eine ganze Welt hinter den Bonsai, die uns aufgrund mangelnder Kenntnisse bisher weitgehend verborgen ist und deren Wurzeln so viel tiefer reichen, als das allgemeine Wissen dringt.


„Standard Edition 2003“. Hardcover, 188 Seiten, über 130 Farbfotos und 48 s/w-Fotos u. Abb. , 23,5 cm x 31 cm, englisch, 74,90 Euro