Rezension von Chefredakteurin Heike van Gunst aus BONSAI ART 144
Eiben sind für die Bonsai-Gestaltung sehr geeignet, da sie im Gegensatz zu anderen Nadelbäumen mit Leichtigkeit aus altem Holz austreiben können, sogar nach extrem harten Rückschnitten, die für andere Baumarten den Tod bedeuten würden.
Der farbliche Dreiklang aus dunkelgrünem Laub, hellem Totholz und rotbrauner Rinde hat einen gro-ßen Reiz. Die leuchtend roten Arillen, die die Samen der weiblichen Eiben umgeben, sind eine zusätzliche Attraktion.
Auch wenn wir schöne Bonsai-Eiben kennen, so fehlen uns doch meist die natürlichen Vorbilder wirklich alter, großer Eiben, denn diese sind heutzutage rar. Aus diesem Grund erscheint es interessant, ein Buch vorliegen zu haben, das sich in aller Ausführlichkeit speziell mit der Eibe befasst. Bereits beim ersten Durchblättern des Werks von Fred Hageneder stellt man fest, dass es neben vielen schönen Fotos sehr viel Text in kleiner Schrift enthält. Gibt es denn so viel zu schreiben über eine einzige Baumart und muss man das alles lesen? Bilder anschauen, ein bisschen hin- und herblättern, etwas querlesen – das war zunächst mein Plan, aber nachdem ich mich in die ersten Seiten und Kapitel vertieft hatte, war ich bereits so fasziniert von Hageneders Ausführungen, dass ich alles lesen und wissen wollte, was dieses umfangreiche Buch zu bieten hat. Es ist keine leichte Kost, sondern fachlich und sprachlich anspruchsvoll. Es berührt mehr Wissens- und Fachgebiete als man erwarten würde: Botanik, Pflanzenphysiologie, Evolution und Klimageschichte, Natur- und Kulturgeschichte, Archäologie, Geographie und Religionsgeschichte, Medizin, Mythologie und Kunst verschiedenster Völker seit dem Altertum.
Während die Eibe heute vorwiegend als giftige Heckenpflanze wahrgenommen wird und kaum noch bedeutende Einzelbäume in unserer Umgebung zu finden sind, war sie in alten Zeiten sehr verbreitet. Die hervorragende Eignung ihres Holzes für die im Mittelalter kriegsentscheidenden Langbögen führte jedoch zur weitgehenden Ausbeutung der Eibenbestände in ganz Europa. Eiben wachsen langsam und können weit über 1.000 Jahre alt werden. Heutzutage existieren nur noch wenige uralte Exemplare. In Großbritannien sind auf alten Friedhöfen noch einige zu finden, wie auch in Japan in den Gärten einiger buddhistischer Tempel und Shinto-Schreine. Etliche dieser imposanten Exemplare sind in Hageneders Buch abgebildet. Obwohl das Werk sich sonst nicht direkt auf Bonsai bezieht, ist auch eine Bonsai-Eibe von Tony Tickle darin zu sehen.
Interessanterweise ist es fast unmöglich, das Alter von Eibenveteranen genauer zu bestimmen, da ab einem gewissen Alter das Kernholz verfault und der Stamm hohl wird, so dass im Inneren keine Jahresringe mehr vorhanden sind. In der Folge bilden sich in dem Hohlraum Innenwurzeln, die bis in die Erde hinunter wachsen. Später kann die äußere, alte Stammhülle komplett verfallen und der Baum bleibt auf den ehemaligen Innenwurzeln stehen, die ihn nun versorgen. Diese faszinierenden Vorgänge sind auf wunderbaren Fotos dargestellt.
Die Giftigkeit der Eibe ist weithin bekannt, aber es wissen eher wenige Leute, dass sie einen bedeutenden Wirkstoff für die Chemotherapie in der Krebsmedizin liefert. So herrscht heutzutage erstmals seit der Zeit der Langbogen wieder eine große Nachfrage nach Eiben, die nun für pharmazeutische Zwecke in Plantagen angebaut werden.
Fred Hageneders Buch liefert nicht nur reichhaltige Informationen über eine unterschätzte Baumart, sondern auch eine unterhaltsame Lektüre und viel Wissenswertes für die Allgemeinbildung.
„Die Eibe in neuem Licht“, Fred Hageneder, 320 Seiten, mit zahlreichen Farbfotos und Grafiken, Format 19,4 cm x 26,3 cm, Hardcover, Preis 39,90 EUR
Rezension von Chefredakteurin Heike van Gunst aus BONSAI ART 144