Chihiro.jpg Chihiros Reise ins Zauberland
von Michael Exner

Angeregt durch die Fernsehausstrahlung des jap. Zeichentrickfilmes „Chihiros Reise ins Zauberland“, entstand die Idee, Sie anzuregen, sich diesen Film, vielleicht auf DVD, einmal anzusehen.

 

Was wie ein Kinderfilm daherkommt, der das Erwachsenwerden eines Mädchens auf zauberhafte Weise beschreibt, ist vom Regisseur Hayao Miyazaki sehr komplex angelegt. Japaninteressierte finden in dem erfolgreichsten jap. Film überhaupt auf sehr unterhaltsame Weise japanisches Mythen- und Märchenpersonal dargestellt, was man sich sonst in trockenen Abhandlungen mühsam aneignen muss. Die Zauberwesen Japans tauchen in einer Nebenwelt auf, in die Chihiro gerät, als sie mit ihren Eltern auf dem Weg ins neue Zuhause falsch abbiegt. Ihre Eltern erliegen dem Zauber sofort, als sie sich „wie die Schweine“, vollfressen und tatsächlich zu solchen werden. Chihiro will den Bann brechen, ihre Eltern befreien, und kommt so in ein von einer Hexe geführtes Badehaus, in dem sie arbeitet und sich verändert. Das Besondere an dem Film ist, dass wichtige Figuren des Films nicht japanisch sind. Die Hexe – in typisch westlichen Privaträumen auftretend – ist als alte weiße Frau mit langer Nase und somit als Europäerin oder Amerikanerin zu erkennen. Auch eine Art männliche Spinne, die im Keller die Technik des Badehauses steuert – als Alter Ego des Regisseurs zu deuten – trägt westliche Züge und Kleidung. Auch der Zug, Symbol westlicher Mechanisierung und technischer Überlegenheit gegenüber dem alten Japan, spielt eine Rolle als Verbindung verschiedener Welten. Ich denke man kann diesen Film, analog zu Chihiros Identitätsbildungsprozess, als Versuch sehen, den Umwandlungsprozess der japanischen Kultur von der klassischen in eine moderne Identität zu beschreiben. Themen wie Umweltverschmutzung und die schwindende Macht der Naturgötter sind in den Begegnungen Chihiros codiert, die Figuren sind dabei nicht gut oder böse, sondern, je nach Interaktion, sowohl als auch. Leider fehlt der Platz, um auf einzelne Szenen einzugehen und meine These daran zu erläutern. Schauen Sie sich den Film an, denn auch ohne Analyse in dem oben erwähnten Sinn ist er ein großes Vergnügen und man bekommt ein Gefühl für das, was wir Japan nennen. 

 

Dieser Artikel erschien in der {ln:BONSAI ART 094 'BONSAI ART 94}