„Japan und der Westen. Die erfüllte Leere“,
herausgegeben vom Kunstmuseum Wolfsburg
Von einem beeindruckenden Ausstellungsbesuch Anfang des Jahres habe ich mir einen Bildband mitgebracht, der diese Ausstellung auch theoretisch aufzuarbeiten sucht. Neben der Wiedergabe der Exponate interessierten mich vor allem die Essays bekannter Kulturgrößen, die das Verhältnis der westlichen zur japanischen Kunst reflektieren. Ich versprach mir davon auch einen Zugewinn an Erkenntnis zu diesem auch für Bonsai wichtigen Thema.
In der genannten Ausstellung waren große Werke der traditionellen japanischen Kunst und Handwerkskunst zu sehen und im hier behandelten Katalog finden sich interessante Informationen den ausgestellten Stücken zugesellt. Allein die Bandbreite der verschiedenen Werke aus Holz, Keramik, Papier usw. schafft für den Leser einen schönen, fundierten Einstieg in die Betrachtung japanischer Kunst.
Ich möchte mich in dieser Rezension mit der theoretischen Seite der Ausstellung befassen. Da ich hier die verschiedenen Gedankenstränge dieses interessanten Versuchs einer Annäherung nicht alle nachvollziehen kann, dabei ist etwa ein Essay des ehemaligen Vorsitzenden der Akademie der Künste Adolf Muschg, werde ich mich auf einen Überblicksaufsatz des Direktors des Kunstmuseums Markus Brüderlein beschränken. Der Text „Die erfüllte Leere und der moderne Minimalismus“ will keine „Vaterschaft oder kausale Abhängigkeiten nachweisen“, sondern „Ähnlichkeiten aber auch die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Kulturen“ thematisieren. Dazu gibt er einige Grundgedanken der jap. Philosophie wieder. Diese Begriffe tauchen auch in der Auseinandersetzung mit unserem Hobby immer wieder auf und Brüderleins Interpretationen helfen, wichtige Tiefendimensionen des Bonsai zu erfassen. Yûgen etwa, die „geheimnisvolle Tiefe“, die die Krone eines ausgebildeten Bonsai so faszinierend macht, lässt sich im Schattenspiel der Äste und Zweige wirklich erleben, wenn der Baum gelungen und reif ist.
Oder die Bedeutung ds Shintô. Im Bonsai beseelen auch wir den Baum, das Ding, wie die Japaner in ihrer archaischen Religion. Wir sehen ihn an und er blickt zurück, zeigt sich und spricht von seiner Natur. Das zu erleben stellt eine Verbindung zum shintôistischen Animismus her. Der behauptet, dass die Dinge von Wesen, den Kami, bewohnt werden, wodurch die selbst toten Dinge belebt sind. Die Lebendigkeit eines Baumes hat heute in unserer Kultur einen naturwissenschaftlichen Geschmack. Aber es gibt auch hier die Erfahrung einer Atmo-sphäre, die ich am Bonsai zu beschreiben versuchte. Sie ist etwas, was die Leere erfüllt und in der wir in „eine gemeinsame Wirklichkeit mit den Naturdingen“ eintreten. Leere ist demnach auch Fülle von Möglichkeiten.
Brüderlein stellt neben der Leere der Form (Ästhetik) auch andere Verbindungen zwischen dem traditionellen Japan und der westlichen Moderne her. In Strömungen der Philosophie (Leere und höhere Erkenntnis), Spiritualität (Beseelung der Welt und Askese) oder in kontextuellen Vergleichen etwa des weißen Ausstellungsraumes im Westen und dem Teeraum im Osten vollzieht er nach, dass es sowohl Vergleichbarkeit, aber auch Unvergleichbarkeit des Wahrnehmens und Sehens ist, was den „Stoffwechsel der Ideen“ zwischen Japan und dem Westen so spannend macht.
Auch weitere Essays dieses Ausstellungskataloges haben mich angeregt, die enthaltenen Gedanken für die Auseinandersetzung mit dem Brückenphänomen Bonsai fruchtbar zu machen. Bonsai als Ausdruck unserer Mensch-Natur zu verstehen werde ich in einem eigenen Aufsatz in näherer Zukunft behandeln.
Japan und den Westen in Beziehung zu setzen war für mich überaus anregend. Die Ausstellung endete am 13. Januar 2008, so dass der vorgestellte Katalog die umfassendste Möglichkeit darstellt, die versuchte Annäherung nachzuvollziehen. Jedem jetzt Interessierten sei er empfohlen. Trotzdem lohnt auch ein Abstecher nach Wolfsburg, denn im Kunstmuseum hat Kazuhisa Kawamura einen Japanischen Garten konzipiert und angelegt, der von ausgesprochen intensiver Ausstrahlung ist. Auf einer Fläche, die durch Zufall der des wohl berühmtesten Zen-Gartens – dem des Ryôanji in Kyoto – ähnlich ist, hat Kawamura diesen Garten zum Vorbild genommen und ihn neu interpretiert. Für mich ebenfalls ein gelungener Brückenschlag zwischen Ost und West.
Japan und der Westen.
Die erfüllte Leere und der moderne Minimalismus.
Kunstmuseum Wolfsburg (Hrsg.).
224 Seiten, 31 cm x 24 cm, ca. 70 farbige und ca. 60 einfarbige Abbildungen, Hardcover, 39,90 Euro