Der Bildband der „Kokufu-ten 2011“
Vor gut einem Jahr habe ich den 84. Band dieser Reihe besprochen und mit der Vermutung abgeschlossen, dass der 2010er Bonsai-Jahrgang auf der Kokufu in besonderer Weise die Dynamik preist. Im Jahr 2011 scheint es fast konträr entgegengesetzt zu sein, so viele statisch anmutende Bonsai stechen hervor. Schauen wir uns, unserer eigenen Empfehlung aus dem Editorial folgend, diese Kandidaten doch einmal genauer an.
In meiner These über die ausgeprägte Dynamik der Bonsai des Jahres 2010 habe ich mich auf die „Important Bonsai Masterpieces“ bezogen. Dazu hatte ich zwei Chin. Wacholder beschrieben, deren Stämme so unkonventionell präsentiert wurden, dass sie den Rahmen von Bonsai zu sprengen drohten und für konservative Gemüter diesen ganz verließen. Wohl kein Zufall, dass es Wacholder waren, denn diese sind spätestens seit den 80er Jahren das Material der „Rebellen“ vom Schlage eines Masahiko Kimura.
Was findet man nun 2011? Der eine Kokufu-Price ist unauffällig. Eine ausgezeichnete locker aufrechte Aprikose in perfekter Blüte. Der zweite ein Chin. Wacholder in mittlerer Größe mit perfektem Totholz und ebenfalls locker aufrechter Form. Bestimmt keine Aufreger! Aber wie sieht es mit den anderen gepriesenen Stücken aus? Ein weiterer traditioneller Wacholder, ansonsten gehören die „Wichtigen Bonsai“ allen möglichen Arten an, so als seien die Auszeichnungen gleichmäßig verteilt worden. Alle wirken in sich ruhend, stark, reif, aber in keiner Weise expressiv. Ein einziger Tribut an die Tradition. Auffallend ist, dass es mehrere Halbkaskaden gibt und die streng aufrechte Form auch mehrere Vertreter hat. Von Letzteren wird man nichts Revolutionäres erwarten, aber die Halbkaskade trägt doch schon in sich das Potenzial der Dynamik. Aber auch da ist der Betrachter nicht überrascht, geschweige denn gefordert. Ausgewogene Kronen stabilisieren die Seitwärtsbewegung und lassen Schwindelgefühle, die sich der imaginär einen ausgesetzten Bergpfad voran tastende Wanderer beim Anblick dieser Überlebenskünstler am Abgrund vielleicht vorstellt, nicht aufkommen.
Beim Durchblättern, ja beim immer beunruhigter werdenden Durchsuchen, springen mich dann doch noch zwei Jap. Mädchenkiefern (Important Bonsai Masterpiece, Seite 42 und Seite 91) an, die mich mit ihren Negativräumen festhalten und in Bann ziehen.
Die erste Kiefer durchkreuzt mit ihrem Zick-Zack-Rückseitenast mutig den freien Raum unter dem brückenförmig gespannten Stamm, so wie ein hingeworfener Pinselstrich, der die Krone an die halb verrottete, instabile Basis zurückbindet. Dieser Ast zerschneidet förmlich den Negativraum und stört penetrant die Sehgewohnheiten, die den klassischen Aufbau erwarten. Das Grün versucht, wie ein Hintergrund, hilflos alle Teile zusammen zu halten, was auch der kaum mehr vorhandenen Basis Die zweite Kiefer ist mächtig und fast einen Meter hoch. Formell würde man sie dem windgepeitschten Stil zurechnen, aber diese Kategorien machen bei solchen Baum-Individuen keinen Sinn mehr. Nicht viel mehr als ein leicht nach rechts gebogener Stamm, drei Äste und eine Spitze – aber welchen Ausdruck vermittelt dieser Baum! Der Negativraum zu seiner Rechten lädt den Betrachter ein, sich die Welt dieses Alten in all ihrer Dramatik vorzustellen. Stürme reißen an ihm, schütteln ihn, Eiskristalle schleifen seine Rinde und legen das blanke Holz frei. Nimmt man sich Zeit und lässt den freien Raum wirken, füllt er sich mit diesen und anderen Bildern. Die Spannung dieses eigentlich „halben Baumes“ ist enorm und er hält sie aus. Seine massiven Äste und Wurzeln stützen ihn gegen die große Leere der anderen Seite.
Diese beiden mutigen Bonsai sind außergewöhnlich, aber deren Dynamik ist nicht expressiv, sondern in einer inneren Spannung gefasst, die sich nicht entlädt. Der 85. und der 84. Band der Kokufu-ten fächern gemeinsam eine große Breite der japanischen Bonsaikunst auf.
{ln:Kokufu 85 (Japan-Import) '„Kokufu-Bildband 85“}
Ausstellung 2011. 272 Seiten, 26 cm x 25 cm, durchweg farbig, Hardcover, Schuber, 109,00 Euro
Erschienen in {ln:BONSAI ART 111 'BONSAI ART 111}