von Richard Bird
Ein Großformat habe ich mir diesmal aus einem Stapel von Probeexemplaren ausgesucht. Auf den ersten Blick hat es nicht viel mit Bonsai zu tun, obwohl es fast alles, was mit dem Schnitt im Garten zu tun hat, beschreibt. Es ist ein sehr europäisches, ja „englisches“ Buch, und so bewegt es sich in einem begrenzten Horizont, leuchtet diesen aber dafür sehr genau aus.
Das Buch vom Gehölzschnitt aus dem Franckh-Kosmos-Verlag nimmt sich eine Tugend des Nutzgartens zum Gegenstand, die menschliche Ordnung. Um diese im Wildwuchs der Natur zu gewährleisten, ist der Schnitt des Zuwachses nötig. Hier liegt auch der Anschluss an das Thema Bonsai. Auch wir halten Ordnung durch Rückschnitt unserer Bäume. Nur: Der Zweck des Schnittes und die inhaltlichen Vorstellungen von Ordnung sind beim Nutzgarten und bei Bonsai sehr verschieden. Trotzdem kann auch der Bonsaianer vom europäischen Gehölzschnitt lernen, denn auch hierbei spielt die Form eine Rolle. Es sind nur die verschiedenen Formvorstellungen, die Ost und West unterscheiden, die physiologischen Grundlagen und die daraus resultierenden Reaktionen der Pflanzen müssen sowohl der Heckenschneider wie auch der Bonsaigestalter berücksichtigen und mit ins Kalkül einbeziehen. Zudem hat sich in dieses Buch auch ein Kapitel über den Schnitt von Topiari – das sind Formgehölze wie Spiralen, Kugeln, auch Figuren etc. – verirrt. Hier zeigt sich der der Natur überlegene – und dieser sich entgegenstellende – rationale Geist des Menschen in seiner klaren und scheinbar unveränderlichen Form. Die Berührungspunkte, die der Bonsaischnitt und der Topiarischnitt haben, so weit sie auch inhaltlich auseinanderliegen, ist nicht nur an dieser Stelle des Buches zu spüren. Auch die jahrtausendealten Schnitttechniken zur Ertragssteigerung (optimaler Fruchtbehang) oder Arbeitserleichterung (Ernte ohne Leiter) sind nutzbringend in speziellen Bereichen der Bonsaikultur (Frucht- und Blütenbonsai) anzuwenden. Sie sind in diesem Buch von Richard Bird aber leider nur verstreut in verschiedenen Kapiteln zu finden.
Geht man an dieses Buch jedoch nicht mit dem auf Bonsai verengten Blick des Spezialisten heran, vermag es den Stöbernden an vielen Stellen zu fesseln. Es ist gleich auf den ersten Blick ein, wie ich es oben nannte, „englisches Buch“. Diese Bücher gefallen sofort in ihrer farbigen Vielfalt – etliche kolorierte Zeichnungen –, Übersichtlichkeit und dem Praxisbezug. Dieses nimmt seinen Titel sehr ernst und behandelt so ziemlich alles, was mit Gehölzschnitt zu tun hat. Man findet auf gut 250 Seiten den Schnitt von Zierbäumen und -sträuchern, Topiari, Hecken, Kletterpflanzen, Rosen und sogar Stauden und Sommerblumen. Weiter geht es mit 20 Seiten Pflanzenporträts und dazu kommen Anleitungen zum Formschnitt von Obstgehölzen und Beerenobst zu Busch, Fächer oder Spalier, um die begrenzte Gartenfläche optimal zu nutzen. Die Zeichnungen helfen sehr, den genauen Aufbau über Jahre zu antizipieren und Fehler beim Schnitt zu vermeiden. Leider ist manches im systematischen Aufbau des Buches dann doch redundant, denn der Unterschied imAufbau eines Apfelspaliers zu einem Birnenspalier hat sich mir nicht erschlossen.
In einigen Kapiteln wird auch erkennbar, dass man ein fertiges Layout nicht einfach 1 zu 1 mit übersetzten Texten in den deutschen Markt verpflanzen kann, zumal, wenn das Buchformat verändert wird. Im diesem Fall sind manche Zeichnungen dadurch zu gedrängt und die Texte so klein, dass z.B. die Pflanzenporträts und das Register – das neben dem Glossar allerdings eine wertvolle Ergänzung ist – schon einer Lesebrille bedürfen.
Mir gefallen die „englischen Bücher“ immer wieder und so auch dieses. Der konservative Ansatz, zu zeigen, wie etwas geht, und sich über die bestmögliche Darstellung Gedanken zu machen, macht auch dieses Buch wertvoll. Mit wenigen Abstrichen ist es demjenigen zu empfehlen, der sein Verständnis über den Schnitt von Gehölzen und dessen spezielle Zwecke vertiefen möchte.
Das Kosmos Buch vom Gehölzschnitt von Richard Bird.
256 Seiten, 24 cm x 30 cm, Hardcover, über 1.000 Bilder
Eine Rezension von Michael Exner aus der BONSAI ART 115