von Prof. Dr. Dirk Dujesiefken und Prof. Dr. Walter Liese
Der Untertitel des Buches – Von den Bäumen lernen für eine fachgerechte Baumpflege – weist es als ein Fachbuch für Baumpfleger aus. Das muss niemanden beunruhigen, denn es ist für Praktiker geschrieben, gut lesbar und verständlich. Trotzdem ist dieses Buch nicht unbedingt eines, das man haben muss. In meiner Rezension möchte ich deshalb von meiner üblichen Weise abweichen und die für Bonsaigestalter wichtigsten Aspekte darstellen. Vieles wird Ihnen vielleicht aus Ihrer Praxis mit bestimmten Baumarten und Schnitterfahrungen bekannt vorkommen. Das spricht für die Wichtigkeit der Erfahrungen, die in der Bonsai-Gemeinschaft gemacht wurden, aber leider bisher kaum in anderen Disziplinen fruchtbar werden konnten.
Als ich durch Zufall auf das CODIT-Prinzip stieß, war ich sofort interessiert, es für Bonsai nutzbar zu machen. CODIT ist die Abkürzung des englischen Begriffs Compartmentalisation of Damage in Trees (Abschottung von Schäden in Bäumen). Ich hoffte, dadurch mehr von der Art zu verstehen, mit der Bäume ihre Verletzungen behandeln. Das dahinter stehende Model fragt danach, wie und unter welchen Bedingungen sich etwa bei Verletzungen des Baumes Grenzschichten, die den gesunden vom geschädigten Teil des Baumes isolieren, ausbilden. Der Prozess ist prinzipiell in vier Phasen unterteilt:
Phase 1: Eindringende Luft. Sie löst die Bildung einer Grenzschicht und die Kallusbildung aus.
Phase 2: Eindringen von Schaderregern. Diese regen z.B. die Überwallung weiter an.
Phase 3: Ausbreitung der Schaderreger. Der Baum reagiert mit weiteren Abschottungsmaßnahmen.
Phase 4: Einkapselung der Schaderreger. Die Überwallung kapselt den Schaden ein.
Die Abschottung (4.Phase) zu erreichen ist das Ziel des verletzten Baumes. Verschiedene Baumarten schotten verschieden stark ab. Nach den Autoren gehören zu den schwachen Abschottern: Birke, Esche, Pappel, Weide, Obstgehölze, Fichte u.a.
Zu den effektiven Abschottern zählen sie: Buche, Eiche, Hainbuche, Linde, Platane, Kiefer u.a.
Der Grund dafür liegt wohl im Holz-aufbau. Größere Gefäße schotten schlechter ab als kleinere, Wurzeln besser als der Stamm, der untere Bereich besser als der obere. So gibt es bei den Ahornen entsprechend diese und jene.
Auch das Alter der Bäume spielt eine große Rolle, wobei zu bedenken ist, dass ein Baum ja nicht „gleich alt“ ist, sondern die inneren Anteile älter sind als die äußeren. Die älteren Teile des Baumes sind weniger aktiv und enthalten weniger Stoffe, die eine Abschottung ermöglichen. Dementsprechend ist ein dicker, also alter, weniger aktiver Ast (oder Wurzel) im Inneren weniger in der Lage abzuschotten als ein dünner. Die Konsequenz daraus ist, dass man dicke Äste oder gar den Stamm nicht einfach abschneiden kann, ohne wahrscheinlich irreparable Schäden zu verursachen. Die Ausnahmen werden in der Bonsaikultur genutzt. Denn ein dicker Ast oder gar Stamm muss nicht unbedingt alt sein. In der Feldkultur werden junge Bäume recht schnell dicker und Opferäste, die diesen Zuwachs ermöglichen, müssen entfernt werden, solange das Gewebe jung ist und die Bäume sehr vital aus dem Boden kommen. Die Sache sieht nach einigen Jahren in der Schale schon anders aus. Ist ein Opferast nicht vor dem Eintopfen entfernt worden, wird es schwieriger, ihn ohne Probleme zu entfernen (siehe Beispiel Kimura/Apfel in dieser Ausgabe 116 Seite 20 ff.).
Ein weiterer wichtiger Aspekt bei der Verletzung von Bäumen, und darum handelt es sich bei jedem Schnitt, ist die Jahreszeit bzw. die Wachstumsphase. Die Abschottung im Holz ist in der Wachstumssaison (März bis August) am besten, wobei die Wundreaktion der Rinde diesen Zusammenhang nicht zeigt. D.h., dass unsere übliche Praxis im März oder kurz davor zu schneiden die Abschottung und damit gesunde Verläufe fördert. Diese Beobachtungen beziehen sich jedoch im Wesentlichen auf Laubgehölze. Nadelgehölze oder Immergrüne haben einen weniger stark schwankenden Wachstumszyklus, profitieren aber trotzdem von zeitlich angepassten Schnittmaßnahmen. So können eine Wundheilung und eine Abkapselung gefördert werden.
Kurz resümiert bestätigt dieses Buch die Erfahrungen und Empfehlungen zum Schnitt unserer Bonsai. Das Entfernen großer Äste direkt am Stamm kann nur bei wüchsigen jungen Bäumen verheilen. Shari oder Sabamiki bedeuten demnach jedoch immer einen irreparablen, starken Eingriff, der letztlich nicht ausheilen kann, sondern den man nur durch Hilfsmittel (Jin-Mittel) begrenzen kann.
Das CODIT-Prinzip von Dirk Dujesiefken und Walter Liese.
160 Seiten, 16,5 cm x 24,5 cm, Hardcover, 43 Farbfotos und 23 s/w-Zeichnungen, 34,50 Euro
Erschienen in BONSAI ART 116