Der Bildband der„Kokufu-ten 2012“
Alle Jahre wieder … nein, nicht nur das Christuskind kommt wieder, auch die Kokufu-ten und deren Dokumentation. Es ist für das Jahr 2012 der 86. Band. Und in wenigen Wochen wird die 87. Ausstellung ihre Pforten öffnen. Es ist schon fast eine Tradition, dass ich die Veröffentlichung des Bildbandes im Herbst zum Anlass nehme, mir ein paar Gedanken zu den präsentierten Bonsai zu machen, so auch hier und jetzt.
Und ich freue mich in jedem Jahr auf diese Aufgabe, bin gespannt, was wohl diesmal die geballte Kreativität der japanischen Bonsaiprofis an den Start bringt. Natürlich schaue ich mir zuerst die Bonsai, die einen Kokufu-Prize, also die höchsten Auszeichnungen bekamen, an. Im letzten Jahr waren es vier Bonsai, die geehrt wurden: ein Chin. Wacholder, eine Satsuki-Azalee, eine Jap. Schwarzkiefer und ein Jap. Fächerahorn. Zweifellos wunderbare Bonsai, aber auf der Spitze des Berges erwarte ich keinen avantgardistischen Bonsai, sondern solche, die viele Juroren überzeugen. Mich interessiert eigentlich mehr die größere Zahl der „Wichtigen Bonsai-Meisterwerke“. Unter denen vermute ich richtungsweisende Bonsai, die in ihrer Formsprache vom „Standardmodell“ abweichen. Warum weicht aber überhaupt ein Bonsai von der Regel ab? Die Antwort ist: Weil er muss! Viele der Bäume, die zur Präsentation kommen, sind Yamadori, also aus Material gestaltet, das in der Natur gefunden wurde. Da aber die Natur die Regeln der Schönheit nicht kennt und demzufolge nicht danach gestaltet, entstehen bei diesen „Bergfindlingen“ oft eigenwillige Formen mit disproportionalen Verhältnissen. Die Kunst besteht nun darin, dieses „Natürliche“ in das „Kulturelle“ der Bonsaiform zu integrieren. Wer alles, was nicht passt, wegschneidet, bekommt vielleicht einen „richtigen“ Bonsai, sicher aber keinen, der von seinem Leben erzählt. Erst die gelungene Integration von „Unpassendem“ spricht von der einzigartigen Geschichte des Baumes.
Im Bildband stoße ich auf viele bezeichnete Meisterwerke, ohne an einem von ihnen hängenzubleiben. Schon der Band von 2011 zeichnete sich, im Unterschied zu dem von 2010, durch Bonsai aus, die eher in sich gekehrt und gefasst sind, nicht etwa expressiv ausgreifend in den Raum ragen. Dieser Trend scheint mir auch für 2012 zu gelten. Vielleicht ist auch noch die kollektive Erschütterung Japans durch das große Beben und den Tsunami für solche „Innenschau“ mitverantwortlich. Es wird zudem vermutet, dass die Verlegung der Ausstellung für 2011 und 2012 vom Metropolitan Art Museum ins Tokyo Metropolitan Industrial Trade Center zu einem geringeren Interesse sowohl der Aussteller als auch der Zuschauer beigetragen hat. Man wird sehen, ob 2013 wieder ein bedeutenderes Jahr für die Kokufu-ten werden wird.
Doch zurück zu den Bonsai. Ein nicht besonders ausgezeichneter hat mich dann doch gefangen genommen. Ein Chin. Wacholder, ein Bunjin-gi, hat mich durch seine Bewegung und einfache Eleganz beeindruckt (S.219). Das Nebari ist eigentlich der Stamm, der über den Boden kriecht, sich dann im eleganten Bogen aufrichtet, zurückschwingt und zum ersten Ast strebt. Dieser ist ein Jin, genauso lang wie der lebendige erste Ast und von diesem nur durch einen spannenden Negativraum getrennt. Diese ersten Äste liegen auf halber Höhe(!), parallel zum kriechenden Stamm-Nebari und in dessen konkaver Biegung, was in verschiedener Hinsicht die Regeln verletzt. Durch ersten Ast, Tachiagari und Nebari bildet sich eine Art gespiegeltes E mit einem interessanten Negativraum. Darüber ist der Stamm fast gerade, neigt sich im Verhältnis zur Basis zurück und trägt die eher kleine Krone fast direkt über der Schale, nimmt so nochmal diese E-Form auf. Horizontale und vertikale Linien dominieren, ebenso wie (recht)eckige Negativräume. Der Stamm selbst ist überwiegend Shari, die einzelne Saftbahn dreht sich um ihn und schafft so eine elegant aufsteigende, weiche Bewegung. Ein schöner Kontrast aus eckigen und runden Formen. Dieser Bunjin ist mein Favorit des Kokufu-Jahrgangs 2012.
Kokufu 86. Ausstellung 2012.
272 Seiten, 26 cm x 25 cm, durchweg farbig, Hardcover, Schuber, 119,00 Euro
Eine Rezension von Michael Exner aus der BONSAI ART 117