von Robert Steven
Der 2011 verstorbene Willi Benz zeigte sich schon vor 10 Jahren davon überzeugt, dass im tropischen Südostasien eine besonders interessante und qualifizierte Bonsaiszene herangereift ist. Robert Steven aus Indonesien ist ein profunder Vertreter einer Bonsaikunst, die das als „verregelt“ verstandene japanische Bonsai durch einen geweiteten Blick auf ästhetische Konzepte neu fundieren und erweitern möchte. Sein zweites Buch liegt in englischer Sprache vor.
Beim Thema tropische Bonsai denkt man an chinesische Massenware, wirtschaftlich bedeutend, aber ästhetisch oft fragwürdig. Aber auch diese Bäume haben ihre Qualität und ihre Schönheit, wenn sie denn künstlerisch bearbeitet werden. Japan und China, beide in den Tiefen ihrer Kulturtraditionen kaum vom Kolonialismus berührt, haben anders als die anderen asiatischen Kulturen westliche Einflüsse lange Zeit kaum integriert. Indonesien ist dagegen als Vielvölkerstaat und durch 350 Jahre Kolonisation durch die Niederländer kulturell vielseitig beeinflusst. Vielleicht ist das ein Grund für die Anstrengung eines Robert Steven, mit Bonsai eine globale Integration ästhetischer Konzepte zu versuchen. Er selbst beschreibt seine Anfänge als Einzelkämpfer in Sachen Bonsai, ohne Anleitung oder Anbindung an einen Club. Zur Krise kommt es nach 10 Jahren (etwa 1990), als er spürt, dass er mit den japanischen Gestaltungsregeln in seinem Verständnis nicht mehr weiterkommt. Seine an anderen Künsten geschulte Wahrnehmung will sich nicht mit dem sterilen „Bonsai nach Handbuch“ zufrieden geben. Er geht nach China, studiert dort Penjing und beginnt gleichzeitig, die über Jahrhunderte im Westen entwickelten ästhetischen Konzepte auf Bonsai anzuwenden. Seine Erkenntnisse veröffentlicht Steven 2005 in seinem ersten Buch „Vision Of My Soul“. Die leider nur mit einer Auflage von 1.500 Stück veröffentlichte Luxusausgabe ist in kurzer Zeit verkauft. Auch die zweite Paperback-Auflage 2007 ist heute vergriffen. Darin betrachtet Steven Bonsai unter 11 Aspekten: Linie, Form, Textur, Farbe, Dimension, Komposition, Perspektive, anatomische Balance, optische Balance, subjektiv und objektiv, Werteinschätzung. Mit der Klärung dieser Begriffe hat Steven ein Grundgerüst künstlerischer Prinzipien und damit für die ästhetischen Entscheidungen im Gestaltungsprozess herausgearbeitet. Seiner Meinung nach soll ein Bonsai einen schönen, alten Baum repräsentieren, und was das heißt, kann er mit diesen Begriffen im Detail beschreiben. Er beantwortet als Erster so konsequent die Frage nach dem „Warum“ einer gestalterischen Lösung.
Hier will ich aber sein zweites Buch rezensieren. Dessen Hardcover-Einband wird von Da Vincis Zeichnung des Mann in Kreis und Quadrat geschmückt. Und nicht nur an dieser prominenten Stelle bezieht sich der Autor auf große Künstler und zitiert diese. Manchen mag dieses „name-dropping“ irritieren, wie vielleicht auch die mäßige Druck- und Bindequalität des Buches oder dessen Format, das nicht zum Layout passt, sondern eher doppelt so groß sein könnte. Auf all diese „Mängel“ kommt es jedoch nicht an. Denn Steven hat etwas zu sagen. Sein zweites Buch geht weiter als sein erstes und mehr ins Detail. Nach seiner Vorstellung durchlaufen Bäume drei Stadien: Jugend, Reife und Transformation. Nicht nur die Reife, sondern besonders das letzte Stadium interessiert den Autor. Dazu behandelt er die wohlbekannten Themen in der Bonsaigestaltung, diesmal aber nicht wie üblich nach dem „Wie“, sondern nach dem „Warum“. Ein Beispiel: die Front. Es ist klar, dass ein Bonsai mit einer Seite nach vorne, zum Betrachter hin gestaltet wird, weil man ihn auf Ausstellungen zeigt und er da an einem festen Platz steht. Was hat das aber für Auswirkungen auf die Grundgestaltung? Oder genauer: Welches der Elemente der rohen Baumgestalt wirkt sich auf diese Gegebenheit aus und warum? Soll die Front da sein, von wo aus alle physischen Details offen zutage treten? Steven sagt es nicht so, aber in meinen Worten: Ist das nicht Porno, wenn jedes Teil unverhüllt und ausgeleuchtet dem Betrachter vor Augen liegt? Ist das schön?
Wenn man mit dem Autor so durch die Elemente eines Materials geht, zeigt er, wieviel zu bedenken und einzuschätzen ist. Gleichzeitig spricht er sich gegen eine rein analytische Sicht auf Bonsai aus. Der Betrachter, also auch der Gestalter, könne spüren, was stimmig und passend sei, und müsse nur lernen, darauf zu hören. Dazu braucht es sowohl Kenntnisse aus der Biologie, etwa was die Physiologie der Bäume angeht, als auch der Ästhetik. Diese Konzepte bringt uns Robert Steven in seinem wertvollen Buch auf bisher nie dagewesene Weise nahe. Seine Bücher markieren einen wirklichen Umbruch und integrieren das nötige Wissen zur Gestaltung von Bonsai auf einem neuen Niveau.
Mission of Transformation von Robert Steven. 250 Seiten, 22 cm x 29 cm, 600 Fotos, Hardcover, englischsprachig. 49,90 Euro
Rezension von Michael Exner aus BONSAI ART 125