„Sakuteiki“ oder die Kunst des japanischen Gartens
von Jiro Takei und Marc Peter Keane
Manche Leserin oder Leser dieser Kolumne mag sich bisweilen gefragt haben, nach welchen Kriterien die Auswahl der hier besprochenen Bücher zustande kommt. Einige Titel mögen Verwunderung hervorgerufen haben, andere scheinen unmittelbar dazu angetan, in einer Bonsai-Fachzeitschrift rezensiert zu werden. Ich verstehe die hier veröffentlichten Texte zwar auch als Rezensionen von Bonsaibüchern, gleichzeitig geht es mir jedoch auch darum, das kulturelle Umfeld unseres Hobbys zu verdeutlichen. Bonsai ist ohne die Verknüpfung von Japan und unserer Kulturgeschichte nicht tiefer zu verstehen. Dabei geht es auch darum, verwandte und fremde gesellschaftlich rückgebundene Vorstellungen im Wandel der Zeit differenzieren zu lernen. Beispiele dafür sind die Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten in der Gartenkunst, die, hüben wie drüben, den Hintergrund der Bonsaikunst bilden.
Originaltexte der uns fremden japanischen Kultur sind bei der Auseinandersetzung mit einem kulturellen Gegenstand unverzichtbar. Unglücklicherweise stehen nur vereinzelt klassische japanische Texte zu Bonsai in Englisch, noch weniger in Deutsch, zur Verfügung. Das in der letzten Bonsai Art rezensierte Buch „Classic Bonsai of Japan“ sehe ich in diesem Zusammenhang als wichtig an, enthält es doch wertvolle Auszüge aus verschiedenen Schriften zur Idee des Bonsai. Das hier zu besprechende Buch „Sakuteiki“ behandelt zwar nicht explizit Bonsai, kann jedoch einen Superlativ für sich beanspruchen: Es ist mit ca. 1000 Jahren das älteste Buch der Gartenkunst überhaupt und damit die älteste Überlieferung von Vorstellungen über die Hintergründe des Bonsai. Der Ulmer-Verlag hat sich mit der Auflage dieses Buches, das sicher kein Verkaufsschlager sein wird, sehr verdient gemacht. Den einen Autor Marc Peter Kean kennen Sie bereits aus einer Rezension in Bonsai Art 41. Der andere, Jiro Takei, ist der wohl ausgewiesenste Experte des „Sakuteiki“.
Es ist weniger der übersetzte Text selbst, der uns moderne Leser die Gartenwelt im Kyoto der Heian-Zeit (794–1185) erschließt, denn auch wenn man die Worte liest, so bleibt die Bedeutung doch oft rätselhaft. Es sind eher die klugen Texte und Anmerkungen der Autoren, die die schwierige Übersetzungsleistung erbringen, die hilft, die Menschen von damals in unserer aufgeklärten Zeit zu verstehen.
Um den Text des „Sakuteiki“ zu verstehen, erläutern die Autoren in kurzen Kapiteln vier Aspekte der asiatischen Denk-tradition, die große Bedeutung für die Gartenkunst hatten: die Natur, die Geomantie, der Buddhismus und die Tabus.
Im Abschnitt über die Natur erfahren wir, dass der Naturbegriff des „Sakuteiki“ nicht die Natur an sich meint, sondern ihr Wesen, das demzufolge sowohl abseits als auch innerhalb einer Gartenanlage hervortreten kann. Ein deutlicher Unterschied zu der westlichen Vorstellung einer Natur, die dem Menschengemachten, Kulturellen gegenüber steht.
Naturvorstellungen sind eng mit der Geomantie (bei uns durch das chinesische Fengshui bekannt) verbunden. Dazu seien nur einige Konzepte genannt, die dazu dienen, das ineinandergreifen aller Phänomene (Jahreszeiten, Geburt und Tod, Denken und Handeln) zu erklären. Ying und Yang, wie auch die Himmelsrichtungen, die Schriftzeichen und mythische Wesen wie blauer Drache und weißer Tiger haben hier ihre Bedeutung für die Gartenanlage.
Der Buddhismus, als dritter Aspekt, hatte auch starke politische Bedeutung und drückte sich dementsprechend auch in aristokratischen Gartenanlagen aus. Hier war die Schutzfunktion des Buddhaein wichtiger Faktor, die sich in einer bestimmten Gestaltungsform, etwa dem„Garten des reinen Landes“ niederschlug.
Gärten und ihre Bewohner konnten mit Hilfe von Tabus vor bedrohlichen Mächten geschützt werden. Diese Vorschriften sollten vor allem „Unreinheit“ vermeiden, eine wesentliche Vorstellung der alten Shinto-Religion. Tabus leiteten sich aus den drei oben erwähnten Aspekten ab und warnten vor Gefahren, die beim Übertreten dieser Vermeidungsregeln entstanden. Tabus legen beredtes Zeugnis ab über die Ängste vor Göttern und Geistern. Diese bekämen danach etwa über einen falsch gesetzten Stein so starken Einfluss auf den Hausherrn, dass dieser dadurch Wohlstand und Leben verlöre.
Durch diese vier Kapitel ist der Leser dann gut vorbereitet auf den eigentlichen Text des „Sakuteiki“, das eine lange Auflistung direkter Arbeitshinweise etwa für das Anlegen eines Teiches oder dem Setzen von Steinen beinhaltet.
Für den Bonsaianer ist vielleicht der Abschnitt über Bäume interessant. Hier findet man z.B. den Hinweis: „Bei der Pflanzung von Bäumen muss man außer den Himmelsrichtungen der vier Schutzgottheiten – Blauer Drache (Ost), Weißer Tiger (West), Roter Phönix (Süd) und Schwarze Schildkröte (Nord) – keine weiteren Gebote beachten.“ Jedoch gilt: „(...), dass ein in den unmittelbaren Mittelpunkt des Anwesens gepflanzter Baum dem Hausherrn immerwährende Schwierigkeiten bringt, weil diese Anordnung wie das Schriftzeichen „Ärger“ aussieht.“
Da wir diese Assoziation aufgrund einer anderen Schrift nicht teilen können, bleibt es uns überlassen, überkommene Regeln auf ihre Gültigkeit für unser Verständnis von Natur, Kultur, Garten und Bonsai zu überprüfen. Zu wissen, welche Hintergründe bestimmte Regeln haben, befreit einerseits von für uns leeren Bedeutungsinhalten, fordert uns andererseits aber auch auf, unsere eigene Bedeutungsgebung zu reflektieren. Es könnte ja sein, dass auch unsere Verbote oder Gebote unhinterfragte Vorstellungen enthalten, die unsere Kreativität hemmen.
208 Seiten, 16 x 23,5 cm, 34 sw-Abb., 16 Farbtafeln, Hardcover, Register, 29,90 Euro