„Der Chinesische Garten“
von Maggie Keswick
Der europäische Blick hat China und Japan oft ungeschieden als „fernen Osten“ betrachtet. Als Bonsailiebhaber wissen wir, dass unser Hobby der japanischen Kultur entstammt, die wiederum stark von China beeinflusst war. Um diese Einflüsse zu verstehen, muss man sich mit der Gartenkunst Chinas auseinandersetzen. Dieser Hintergrund lässt uns wiederum besser die eigenständige japanische Entwicklung in ihrer Differenz nachvollziehen.
Das Buch, das ich Ihnen heute ans Herz legen möchte, kommt – man erwartet vom Ulmer-Verlag nichts Geringeres – als ein opulenter Bildband daher. Wer jedoch großformatige Fotos chinesischer Gärten erwartet, wird enttäuscht. Das Werk ist, und dementsprechend sind es auch die meisten Fotos, im Wesentlichen eine kulturhistorische Arbeit. Es basiert auf dem wissenschaftlichen Grundlagenwerk von Maggie Keswick, die 1978 zum ersten Mal die Bedeutung des chinesischen Gartens darstellte, und wurde durch neue Fotos und zwei erläuternde Texte aufbereitet. Im Kern bleibt es jedoch ein Buch für diejenigen, die tiefer in die Welt chinesischer Gärten eindringen möchten. Wer sich eine genaue Betrachtung und Deutung des chinesischen Gartens wünscht, wird in Keswicks Buch viel Erhellendes finden.
Gehen wir etwas mehr ins Detail. Der Untertitel des Buches lautet: „Geschichte, Kunst und Architektur.“ Er bezeichnet, wie der Titel selbst, nicht gerade eine enge Begrenzung. Auch ist das Buch nur grob in acht Kapitel gegliedert, was dem Anliegen Rechnung trägt, den Gegenstand nicht über ein für unser westliches Verständnis notwendiges Maß hinaus zu zergliedern. Hierin unterscheidet es sich z.B. deutlich von Nitschkes „Japanische Gärten“ oder Keanes „Gestaltung japanischer Gärten“.
Keswick beginnt mit dem Auftauchen des chinesischen Gartens im Westen im 18. Jahrhundert, beschreibt die kaiserlichen Parks und die Gärten der Gebildeten. Dann stellt sie einen Zusammenhang zur Malerei her, dem sie die Elemente im Garten – Architektur, Felsen, Wasser – folgen lässt. Das letzte Kapitel behandelt dann die Blumen und das Grün im Garten. Eingerahmt werden diese Kapitel von einer Einführung durch Alison Hardie, die Keswicks Arbeit in die aktuelle Diskussion einordnet, und einen Text von Charles Jencks, dem Ehemann Keswicks, der versucht, die wesentlichen Bedeutungsinhalte des chinesischen Gartens zusammenzufassen.
Das skizzierte grobe Ordnungssystem spiegelt einerseits den Anspruch wider, Klarheit in die Vielfalt der Erscheinungen dieser Gärten zu bringen, ohne andererseits zu stark zu kategorisieren. Alles hängt mit allem zusammen. Ein Chaos (oder Kosmos?), das mit der Machete der Kategorien zwar geordnet, dem aber nicht die Lebendigkeit genommen werden soll. Keswick steht mit ihrer Arbeitsweise nahezu diametral einer Autorin wie Irmtraud Schaarschmidt-Richter gegenüber, die die „Gartenkunst in Japan“ unter sieben Begriffe fasst. Bei Keswick findet der Leser zwar Unterpunkte, wie etwa „Blumensymbolik“, doch unter dieser Zwischenüberschrift tauchen dann auch die Bäume und auch die Jahreszeiten auf.
Die Autorin ist keine Erbsenzählerin, die akribisch auflistet und in Kästchen packt. Sie ist eher eine Erzählerin, die mehr Zusammenhänge aufzeigt als Grenzen zieht. So lässt es sich ausgezeichnet in diesem Buch „herumlesen“, einfach an irgendeiner Stelle einsteigen und sich fesseln lassen von ihrer Sprache und ihrer in allen Beschreibungen spürbaren Begeisterung für diese Gärten. Keswick hat ihre Kindheit und Jugend in einer europäischen Familie in China verbracht und so beide Kulturtraditionen in sich vereint. Ihr Buch ist quasi eine Fähre, mit der sie die Bedeutungen dieser exotischen Kultur in unsere übersetzt.
Ich hatte erwähnt, dass der Mann der Autorin in einer Art Anhang eine Zusammenschau der Bedeutungsinhalte des chinesischen Gartens versucht. Diese neun Seiten des 240 Seiten starken Werkes eignen sich hervorragend als Einstieg und Überblick zu der Thematik. Ihm gelingt es darin, die Widersprüchlichkeiten der Gärten, die in ihrer vielfältigen Ausprägung begründet liegen, als Polaritäten einer Kosmologie, eines Ying und Yang zu deuten, die immer wieder aufs neue Spannung in dieser Gartenkunst erzeugt. Er macht dabei etwa die Fülle als ein wichtiges Moment des chinesischen Gartens aus. Gerade das scheint dem japanischen Garten konträr gegenüber zu stehen. Nach der überaus anregenden Lektüre kann man sich jedoch auch fragen, ob Fülle und Leere nicht nur polarisierte Ausformungen eines Geisteskosmos sind.
Hardcover, 240 Seiten, viele Farbfotos, 26 cm x 31cm, 59,90 EUR