„Bonsai Art Noelanders“
von Marc Noelanders
Vielleicht wundert es Sie, hier eine Rezension zu einem Buch zu lesen, das bereits im Heft des Bonsai-Club Deutschland besprochen wurde. Für den Rezensenten Michael Kreuz ist dieses Buch, genau wie für John Y. Naka, ein wirklich zu empfehlendes „großartiges Kleinod“. Muß bei solchen Empfehlungen überhaupt noch etwas zu diesem Buch gesagt werden? Macht es eigentlich noch Sinn, ein Buch, das schon eine gute Weile auf dem Markt ist, vorzustellen? Ich meine ja, denn auch dieses Buch hat, wie alle anderen Bücher auch, Stärken und Schwächen, die ich im folgenden aufzeigen möchte.
Marc Noelanders zählt sich selbst zu den modernen Bonsaigestaltern. Das heißt nicht, daß er die traditionelle Bonsaigestaltung ablehnt. Noelanders hat in Japan Bonsai studiert. Er beherrscht die Sprache der Menschen, für die Bonsai oft über Generationen selbstverständliches Alltagsgeschäft ist und war. Marc Noelanders hat bei verschiedenen Meistern gelernt und als Europäer den Vorteil, nicht im Schulen-Denken befangen zu sein. So lernte er, die klassischen Techniken anzuwenden und wertzuschätzen. Gleichzeitig kam er mit radikalen neuen Verfahren in Berührung. Aus diesen beiden „Welten“entwickelte er seine Art, Bonsai zu gestalten.
Dieser Integration steht noch eine andere zur Seite. Noelanders arbeitet, anders als hier lebende japanische Gestalter, immer wieder mit für jeden erreichbarem Ausgangsmaterial. Es gibt in Europa keine ausgeprägte Bonsai-Baumschulkultur. Das heißt, im Gegensatz zu Japan (bzw. dem fernen Osten) findet man bei uns Rohmaterial für Bonsai hauptsächlich in normalen Baumschulen (sieht man von vorgestalteten, importierten oder in der Natur ausgegrabenen Bäumen einmal ab). Folglich hat man es hier mit der ganzen Palette nachlässiger Kultivierung zu tun (schlechte Wurzelansätze, mangelhafte Verjüngung, unpassende Proportionen usw.). Mit diesen Bedingungen konfrontiert, hat er sich in vielen Gestaltungen von solchem Baumschulmaterial um den Transfer östlicher Möglichkeiten auf westliche Bedingungen bemüht. Daß ihm diese schwierige Integration gelungen ist, zeigt dieses Buch. Insofern zeigt es die Art von Noelanders, Bonsai zu gestalten.
Wie schlägt sich dieses Bemühen nun in seinem Buch nieder?
Noelanders hält sich mit selbst verfaßten Einschätzungen zurück. Er läßt John Y. Naka, Paul Lesniewicz und einen seiner Schüler schreiben, was sie über ihn und seine Art der Gestaltung denken. Auf den gut hundert Seiten äußert er sich nur technisch beschreibend zu seinen Werken. Noelanders Buch ist vor allem auf die Vermittlung seiner Techniken ausgerichtet. Diese Techniken sind Lösungen von Problemen, die so nur bei Baumschulpflanzen (und Yamadori) vorkommen.
Ein Beispiel: Eine Balsamtanne, gekauft mit der Vorstellung, einen Doppelstamm daraus zu gestalten, entpuppt sich aufgrund eines um 20 cm tiefer liegenden Wurzelansatzes als Problembaum. Der Stammansatz ist zwar dick, paßt aber nicht zu den Ästen, deren Grün viel zu weit entfernt von der Basis ansetzt. Noelanders zeigt, daß die Lösung dieses oft auftretenden Problems („Wie bringe ich die Grünbereiche näher zur Stammbasis? “) durch zwei radikale Richtungswechsel in einem Ast möglich ist. Hier verwendet er auch ein Werkzeug, das man sonst wenig in den Händen von Gestaltern sieht. Ein sogenannter Seilspanner, im Eisenwarenladen billig zu erstehen, dient dazu, starke Biegungen millimeterweise durchzuführen. Der Vorteil gegenüber einer manuellen Biegung liegt in der perfekten Kontrolle, die man so jederzeit über den Biegevorgang hat.
Noelanders zeigt in dieser und in zweiundzwanzig anderen seiner insgesamt sechsundzwanzig dokumentierten Gestaltungen seinen flexiblen Umgang mit zum Teil schwierigem Material. Auf der Basis traditioneller Techniken allein wären viele der Pflanzen nicht zu Bonsai zu gestalten. Mit modernen, zum Teil umstrittenen Methoden im Repertoire entdeckt er neue Möglichkeiten des Materials.
Neben dieser innovativen Seite findet man aber auch geradezu klassische Gestaltungen. So wird zum Beispiel eine Sachalinfichte in streng aufrechter Form (ein bei Saburo Kato gekaufter Baum) gerade nicht radikal umgestaltet, sondern entsprechend ihrer ursprünglichen Gestaltungsidee bearbeitet. Kein spektakulärer, aber ein großer Bonsai.
In all diesen Facetten zeigt sich Noelanders Art des Bonsai. Man kann über bestimmte gestalterische Lösungen durchaus geteilter Meinung sein. Wenn man aber als ein Kriterium für die Fähigkeiten eines Gestalters danach fragt, welchen Zugewinn an Schönheit eine Pflanze durch die Gestaltung erfahren hat, sind die Leistungen von Marc Noelanders sehr hoch einzuschätzen.
Noch ein Wort zum Buch selbst. Ich hätte mir an manchen Stellen klarere Formulierungen gewünscht. Das, was Noelanders auf gestalterischer Ebene gelungen ist, kann er leider nicht zur Gänze in Text und Darstellungen übersetzen. Die Chance eines Europäers, sozusagen aus erster Hand japanisches Wissen, verbunden mit einer analytischen Perspektive, aufbereitet vorzulegen, hat er nicht ganz wahrgenommen. Vielleicht ist das aber auch zu viel verlangt. Die abschließende Bearbeitung des Textes scheint allerdings dem Druck zur Veröffentlichung zum Opfer gefallen zu sein. Tippfehler und Sinnentstellungen legen Zeugnis davon ab. Eine redaktionelle Nachbearbeitung ist bei einem Buch für 49 DM jedoch nicht zuviel verlangt.