Rezension von Chefredakteurin Heike van Gunst
Ein Buch über das Verhältnis des Menschen zu Bäumen, mit dem Untertitel „Heilkraft, Mythen und Kulturgeschichte“, geschrieben von einem Heilpflanzenexperten, das macht neugierig.
Von der Heilkraft der verschiedenen Baumarten ist im heutigen Allgemeinwissen kaum noch etwas verbreitet. Rudi Beiser, der sich seit 40 Jahren mit Heilpflanzen und Wildkräutern beschäftigt, hat neben interessanten botanischen, ökologischen und geschichtlichen Fakten viele erstaunliche Rezepte zu bieten.
Auch wenn „Baum & Mensch“ kein herkömmlicher Bildband ist, ist es in allen Kapiteln mit schönen Fotos illustriert. Das Buch beginnt mit einer kurzen Abhandlung über die Funktionen des Waldes für Natur und Mensch, die Leistungen des Ökosystems Wald, seine Bedeutung für den Klimaschutz und mit einer kleinen Galerie der Baumrekorde. Dann folgt ein besonders lesenswertes Kapitel über die „Waldgeschichte Mitteleuropas: Das Verhältnis von Baum und Mensch“, das auf ungewöhnlich einprägsame Weise die Entwicklung unserer Wälder von prähistorischer Zeit bis heute in Abhängigkeit von Klimaveränderungen, der Entstehung der menschlichen Zivilisation, Völkerwanderungen, Kriegen und der damit verbundenen Waldnutzung darstellt.
Was daraus besonders deutlich wird ist, dass es im Grunde niemals für lange Zeit einen unveränderten Zustand von Wald und Klima gab. Alles war jederzeit im Fluss, entweder durch Eiszeiten, andere Klimaveränderungen oder auch durch menschliche Eingriffe bedingt. Bäume eroberten sich neue Lebensräume, wurden von anderen Arten wieder verdrängt, durch kältere oder wärmere Perioden mit sinkendem oder steigendem Meeresspiegel dezimiert oder durch übermäßigen Raubbau annähernd ausgerottet. Nach der letzten Eiszeit konnten manche Baumarten die Alpen relativ bald wieder überwinden, andere brauchten sehr lange oder schafften dies nur mit menschlicher Hilfe.
Der Gedanke daran, dass es im Grunde nie einen dauerhaft konstanten Zustand gab, weil sich Klima, Flora und Fauna immer wieder aus verschiedenen Gründen enorm veränderten, erscheint mir ein wenig tröstlich angesichts des heute vom Menschen verursachten Besorgnis erregenden Klimawandels.
Beiser erklärt alte heidnische Bräuche im Zusammenhang mit den verschiedenen Baumarten, die die starke Verbundenheit von Mensch und Baum belegen. Die geschilderten Auswüchse von mittelalterlichem Aberglauben und Hexenverfolgung sind jedoch meist schauderhaft. Christlichen Missionaren fiel so mancher besondere Baum zum Opfer, denn wenn ihre wankelmütigen Schäfchen vom einzig wahren Glauben abzuweichen drohten, fällten die Geistlichen oft die seit jeher verehrten Baumheiligtümer oder widmeten sie mit Marienbildern oder Kapellen dem christlichen Glauben.
Etwas wirklich Besonderes in Beisers Buch sind die ausgefallenen Rezepte. Kartoffel-Eichel-Kekse, Lindenblütenoder Vogelbeer-Apfel-Gelee, Douglasien-Likör, Bucheckern-Pilz-Pesto oder Ahorn-Spinat klingen so verlockend, dass man diese ungewöhnlichen kulinarischen Genüsse wirklich gerne einmal probieren möchte.
Jeder leidenschaftliche Bonsaianer kennt die seelisch wohltuende, geradezu heilsame Wirkung der Beschäftigung mit seinen Bäumen. Wenn man Beisers Buch studiert, stellt man aber fest, dass tatsächlich praktisch alle hierzulande bekannten Bäume medizinische Wirkstoffe besitzen. Dazu liefert der Autor Informationen und Rezepte aus der alten Volksmedizin und Naturheilkunde. „Baum & Mensch“ ist wirklich ein vielseitiges Buch, das zeigt, dass man Bäume sogar „zum Essen gern“ haben kann.