Rezension von Chefredakteurin Heike van Gunst
Die bedeutendste Bonsai-Ausstellung der Welt fand im Februar 2020 wie gewohnt statt, ehe das Corona-Virus bald darauf die meisten anderen großen Bonsai-Veranstaltungen in diesem Jahr unmöglich machte. Was für eine phantastische Auswahl der weltbesten Bonsai auf der 94. Kokufu-ten in Tokio zu sehen war, beweist der aktuell erschienene Ausstellungsbildband.
94. Kokufu-ten, Nippon Bonsai Association 2020, 320 Seiten, Format 26 cm x 25 cm, Hardcover mit Schutzumschlag und Schuber, Preis 119,– EUR. Art.-Nr. 4094>> Buch kaufen
Die traditionsreiche Kokufu-ten fand 1934 erstmals unter diesem Namen in Tokio statt, während ihr Vorläufer, die All Japan Bonsai Exhibition, von 1911 – 1933 stattfand. In der Anfangszeit gab es sogar zwei Kokufu-Ausstellungen pro Jahr, ehe sie wegen des zweiten Weltkriegs von 1944 – 1946 ausgesetzt wurden. Aus terminlichen Gründen fand 1959 ebenfalls keine Kokufu-ten statt. Bislang halten die Veranstalter daran fest, im Februar 2021 die nächste Kokufu-ten abzuhalten und es ist zu hoffen, dass das Corona-Virus nicht doch noch die erste Absage seit 1959 nötig machen wird.
Jedes Jahr findet man bereits kurz nach der Eröffnung der Kokufu-ten viele Fotos der Ausstellungsbäume im Internet und kann einen gewissen Eindruck von ihnen gewinnen. Sie dann aber im Bildband auf professionellen Studiofotos zu betrachten ist noch einmal eine gewaltige Steigerung. Diese Prachtexemplare in Ruhe zu genießen, sich in der Phantasie in ihre Landschaften hineinzuversetzen und sich ihre Lebensgeschichte auszumalen ist einfach ein Genuss. Zudem ist es immer äußerst lehrreich, die Details dieser Spitzenbäume zu studieren, um sich für die Gestaltung und Präsentation der eigenen Bonsai etwas abzuschauen, auch wenn man sich auf Amateurniveau und nicht in der Bonsai-Weltspitze bewegt.
Die beiden viertägigen Teile der Ausstellung umfassten jeweils 151 Exponate, davon 106 große Bonsai, 39 Dreipunktpräsentationen von mittelgroßen Bonsai (Chuhin) und 7 Shohin-Displays. Es wurden in jedem Teil 4 Kokufu-Preise vergeben, im ersten Teil für eine mehrstämmige Mädchen-Kiefer über Fels, einen Shimpaku-Wacholder mit phantastisch verdrehtem Totholzstamm, einen feinen Chuhin-Dreispitz-Ahorn über Stein und für ein Shohin-Display, das der Perfektion so nahekam, wie man es selten sieht. Es waren 12 Kicho-Bonsai (als wichtige Meisterwerke registrierte Bäume) im ersten Ausstellungsteil vertreten.
Im zweiten Teil der Ausstellung, in dem 19 „Wichtige Bonsai-Meisterwerke“ zu sehen waren, gingen die Kokufu-Preise an eine Mädchen-Kiefer mit ungewöhnlichem Wurzelstamm, eine Rose in Kaskadenform, eine doppelstämmige Hinoki-Scheinzypresse und eine bezaubernde Zierquitte in Chuhin-Größe mit rauer Rinde und orangeroten Blüten. Bemerkenswert ist, dass im Teil 2 der Ausstellung 10 der großen Bonsai in Schalen des herausragenden Töpfers Gyozan aus Tokoname gepflanzt waren, während sonst meist antike chinesische Schalen bevorzugt werden.
Erneut waren die Nadelbäume leicht in der Überzahl, herrliche Exemplare in allen klassischen Formen und zum Teil auch mit sehr ausgeprägtem individuellem Charakter. Die Laubbäume, viele mit kahler Feinverzweigung, andere mit immergrünem Laub, sind ebenfalls eine Augenweide. Die Früchte an Ilex, Kumquat und Gardenie leuchten auf den Fotos des Bildbandes ebenso farbenfroh wie die Blüten von Aprikosen, Kirschen, Zierquitten, Bougainvilleen, Magnolien und Kamelien. Besonders gefällt mir, dass im Bildband auf den Seiten 12 und 17 eine Fichte und eine Mädchen-Kiefer zu sehen sind, die jeweils 1934 an der ersten und 2020 an der 94. Kokufu-ten teilgenommen haben. Trotz großer Veränderungen kann man die Bäume von den alten Schwarzweißfotos heute noch deutlich wiedererkennen.
Neben diesen besonderen Exemplaren gibt es unzählige weitere hervorragende Bonsai zu bestaunen. Darunter eine alte Himalaya-Zeder in einer kostbaren bemalten Porzellanschale auf Seite 15 und ein Dreispitz-Ahorn auf Seite 81, der auf besonders schöne Weise über einen bogenförmigen Stein wächst.
Der neue Kokufu-Bildband ist wie gewohnt Anschauungsmaterial und Hochgenuss vom Feinsten für den engagierten Bonsai-Freund. (HvG)